Thematischer Ausgangspunkt für die Einzelausstellung Wir tun einfach, als ob wir nicht da sind, sind Extremzustände in Zivilisation und Natur. Kippmomente, in denen zivilisatorische Errungenschaften ins Wanken geraten oder gar kollabieren.
Wir wussten es immer! – Die Welt ist eine Bühne und dennoch… Wir tun einfach, als ob wir nicht da sind, wie der Titel der Einzelausstellung von Marianne Halter im ESSZIMMER in Bonn suggeriert.
Gerade im Kontext von YX sucht den Star von YZ und falls das nicht klappt, dann muss das Selfie für Facebook, Instagram und Co. genügen, entsteht der Eindruck, dass es alle auf diese Bühne der Bedeutung drängt, die gleichbedeutend mit Glück und Lebenserfüllung zu sein scheint. Eigentlich müsste man die Ausstellung von hinten betreten, da scheint zumindest die Welt noch in Ordnung zu sein. Ein kleines Männchen im Anzug betritt da eine Bühne und wird in tosenden Applaus gehüllt. Ja das wollen wir auch! Applaus, möglichst jeden Tag von früh bis spät. Die Figur, Stellvertreter für uns alle, nimmt den Applaus einer im Verborgenen bleibenden Menge entgegen, mitten im Nirgendwo eines Parkplatzes mit Laterne. Ist das wirklich die Bühne von der wir träumen? Hin und zurück (2014) heißt die Arbeit von Marianne Halter in Zusammenarbeit mit Mario Marchisella, der im gleichen Anzug auch schon mal Mauern in Johannesburg ansingt oder auf verstopften Kreuzungen Violinkonzerte gibt. Die vermeintliche Bühne im Video erweitert sich in den Innenraum der Transportkiste, die aufgebockt hier Zwischenstation gemacht hat und jederzeit mit ihrem Applaus weiter ziehen kann. Den Applaus im Ohr und Hintergrund steht man vor der flimmernden Farbstiftzeichnung aus der Reihe: Verlorene Monumente, Nr. 1 (2015), die hier direkt auf der Wand raumhoch aufgeführt wurde. Motiv ist das gefundene Bild eines sogenannten Nagelhauses in China. Das Haus steht – exponiert wie auf einer Bühne – zwischen zwei künftigen Schnellstrassen. Ursprünglich Sinnbild von Solidität und Prosperität sind das Haus und dessen Bewohner über Nacht zum Sinnbild von Widerstand und Regimekritik mutiert. – Applaus! Aber wofür eigentlich? Gleich daneben haben es die Sinnsprüche, die man zuweilen auf Häusern findet und die Marianne Halter gesammelt hat, sogar ins Fernsehen gebracht. – Zumindest in einen kleinen nostalgisch angehauchten Nachbau – Daheim ist’s gut (2012) behauptet der Titel der Arbeit. Andy Warhols Aussage “In the future, everyone will be world-famous for 15 minutes.” (1968) ist für diese Sätze wahr geworden, aber sie scheinen es nicht zu genießen, sondern wirken, so weit weg von ihrer eigentlichen Wirkungsstätte seltsam verloren und deplaziert. – Applaus?
Aber dieser Ausstellungsbeginn ist nur fiktiv! – In Wahrheit mahnt uns die rote LED-Leuchtschrift, die bereits am Eingang an uns vorbei zieht: Wir tun einfach, als ob wir nicht da sind (2010). Spätestens nach dem Durchschlüpfen zwischen zwei weißen, glänzenden Plastik-Bahnen scheint alles klar: Showtime (2015)! Der Beginn ist eigentlich das Ende, das Fanal. Eine bunte Werbe-Leuchttafel spielt Amok und scheint in den letzten Zuckungen zu liegen während sie weiterhin Bühne ist für Versprechungen, die von Jackpot Gewinnen bis zu einmaligen kulinarischen Genüssen und Aussichten auf Las Vegas reichen. Der nicht enden wollende Strom von Autos, die sich daneben langsam ihren Weg – Lemmingen gleich – durch die Wassermassen bahnen, erweckt den Eindruck, sich direkt in das zum Tor einer glitzernden Unterwelt mutierten LED-Screens zu stürzen. Das Ende wird untermalt mit einem Soundtrack von Mario Marchisella. Er inszeniert Rilkes Gedicht Das Karussell in einer englischen Version, einlullend und dramatisch zugleich als Song der anderen Art.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet, ein seliges, das blendet und verschwendet an dieses atemlose blinde Spiel.
(sibylle feucht, Bonn, 2015)
Wollen wir wirklich auf dieser (Welt-)Bühne stehen oder nicht lieber einfach tun, als ob wir nicht da sind?
Begleitveranstaltung
Als eine Art ergänzendes Gegenstück zur Ausstellung von Marianne Halter fungiert die akustische Intervention Analoge Meditationen der Schauspielerin Julie Bräuning (Text / Konzept), die sie mit dem Musiker Mario Marchisella erstmals live aufführt.
In kurzen Sequenzen werden alltägliche, meist private und analog ausgeführte Handlungen minutiös beschrieben.
Diese Ministücke kontrastieren und ergänzen die Szenerien und Bilder der Ausstellung, die im öffentlichen-urbanen Raum angesiedelt sind und vom einzelnen Menschen abgekoppelte Vorgänge thematisieren.
Material zur Ausstellung
- Einladung
- Pressetext
- Artikel im General Anzeiger Bonn von Frau Dr. Strom-Rusche
- Publikation zur Ausstellung