Kunst und Kultur im Netz boomt. Mit dem Beginn der Corona-Pandemie und der Schließung von Museen, Galerien und Co. überschlagen sich die digitalen Angebote. Von virtuellen Ausstellungen, über Rundgängen zu 360°-Videos, Virtual und Augmented Reality Angeboten, wer möchte, könnte den ganzen Tag von Museum zu Museum schlendern, Hintergrundinformationen über Livestreams und Videoplattformen anschauen und beim virtuellen Rundgang an jedes kleinste Detail eines Gemäldes durch zoomen begutachten. Allmählich öffnen die Museen und Galerien wieder, Kunstmessen finden analog statt. Doch damit sind nun neue Sorgen verbunden: Gehen die Menschen wieder analog ins Museum, wenn es doch auch alles online gibt?
Das alte Problem
Die Ausgangsfrage plakatiert eine alte Gegenüberstellung – das Analoge vs. das Digitale – und führt zurück zu der grundliegenden Überlegung, was das analoge Museum im Unterschied zu den digitalen Angeboten eigentlich auszeichnet. Für einige wird dies schnell beantwortet sein. Ins Museum gehen bedeutet Kunst zu erfahren. Es ist ein ortabhängiges Erlebnis mit einer spezifischen Atmosphäre, das den Freiraum bietet, Werke mit mehr als nur dem Sehsinn wahrzunehmen. Allein die Nähe und Distanz zum Werk, das Licht, die Geräusche, der Geruch und das Verhältnis zu anderen hat Einfluss auf die Erfahrung der Besuchenden. Etwas so Umfassendes wird das Digitale nicht ersetzen können, damit ist die Anfangssorge unbegründet, oder?
Anders, aber nicht schlecht
Menschen erreichen – in Coronazeiten ist dies fast ausschließlich online möglich. Auch das ESSZIMMER überlegte sich eine neue Strategie. Mit dem zweiten Lockdown erweiterte sich das online Angebot, das ESSZIMMER tritt der Videoplattform YouTube bei. Digital werden nun auch Veranstaltungen begleitet, Künster:innen-Gespräche geführt und Ausstellungen digitalisiert – eine Art Archivierung des Analogen. Besonders interessant sind auch die 360°-Videos. Dadurch sind die derzeitigen und vergangenen Ausstellungen erfahrbar, aber eben anders als im Vergleich zum analogen Besuch. Nehmen wir als Beispiel das 360°-Video zur Ausstellung Memorial For The Lost beim Hillside Project. Statisch steht die Kamera in der Mitte des Raums. An einem Ende ist die Tür geöffnet, eine leichte Briese geht durch den Raum. Mit einem mobilen Gerät, wie einem Tablet oder einem Smartphone ist es möglich, sich zu drehen und damit umzuschauen. Das zwischengeschaltete Gerät lässt eine völlig andere Erfahrung zu. Durch die tiefe Kameraposition wird die eigene Körperposition verzerrt, was gleichzeitig als störend und spannend empfunden werden kann. Man ist alleine vor Ort und gleichzeitig in einer gewohnten Umgebung wie seinem Zuhause. So gerne man in diesem Raum ein wenig verweilen möchte, so schnell ist es wieder vorbei. Denn das Video geht nur eine knappe Minute.
Dilema, das kein´s ist
Vielleicht ist die Ausgangsfrage falsch gestellt. Vielleicht ist es wie so oft, dass die Gegenüberstellung in schwarz (digital) und weiß (analog) lieber in einem grau enden sollte. Das Analoge und das Digitale sind keine Gegensätze, sie ergänzen sich gegenseitig, wie das Beispiel von dem ESSZIMMER zeigt. Anstelle des Gedankens, man hätte online alles gesehen, bekommt man Lust seine erste, digitale Erfahrung durch einen analogen Besuch zu erweitern. Das digitale Angebot informiert, hält vergangene Ausstellungen und Gespräche online fest und ermöglicht eine andere Ausstellungserfahrung. Ob diese einen reichen, muss jeder und jede für sich selbst entscheiden, aber ist es nicht schön diese Entscheidungsfreiheit zu haben?