“Über Geschmack lässt sich nicht streiten”. Auf der Grundlage dieses Sprichworts veröffentlichte Pierre Bourdieu 1979 La Distinction – Critique sociale du jugement. In dieser Arbeit interessiert er sich für die Bildung von Geschmäckern, als Kritik der kantischen Vorstellung eines universellen und interesselosen Charakters des ästhetischen Urteils. Ziel dieser Zusammenfassung ist es zu verstehen, warum Geschmack nach Pierre Bourdieu von der sozialen Position der Individuen abhängt.
Pierre Bourdieu analysiert die Gesellschaft in Bezug auf Felder, in denen Individuen über Kapital verfügen: soziales Kapital, ökonomisches Kapital und kulturelles Kapital. Das kulturelle Kapital, das ein bestimmender Faktor bei der Geschmacksbildung ist, nimmt drei Formen an, die innerhalb eines Feldes mehr oder weniger „wirksam“ sind: Institutionalisiertes kulturelles Kapital (die Anerkennung eines Qualifikationsniveaus durch Diplome), verkörpertes kulturelles Kapital (das gesamte während der primären und sekundären Sozialisation erworbene Wissen) und objektiviertes kulturelles Kapital (alle kulturellen Güter oder Praktiken eines Individuums). Die verschiedenen Formen des Kapitals, ihre Herkunft und Menge, bestimmen die Verteilung und Lebensweise der Individuen innerhalb der verschiedenen sozialen Räume.
„Geschmack ist vor allem Ekel, Abscheu und viszerale Intoleranz gegenüber dem Geschmack anderer.“
Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft.
Was unterscheidet dann den Geschmack vom Ekel? Man könnte versucht sein zu denken, dass diese Frage mit der Höhe des ökonomischen Kapitals zusammenhängt, über das eine Person verfügt. Die Antwort ist aber komplexer. Bourdieu verwendet das Konzept des Habitus, um die Beständigkeit sozialer Praktiken über die Zeit hinweg aufzuzeigen: für ihn sind sie „strukturierte Strukturen, die prädisponiert sind, als strukturierende Strukturen zu funktionieren“, d.h. cognitive und soziale Dispositionen und Gewohnheiten, die einerseits innerhalb eines Feldes verinnerlicht werden, aber andererseits die Regel und Struktur dieses Feldes bestimmen. Eine Person, die in der Filmindustrie arbeitet, wird also einen Geschmack haben, der zum Teil von den Akteuren der Filmindustrie bestimmt wird, und gleichzeitig den legitimen Filmgeschmack mitbestimmen. Diese Prozesse tragen dazu bei, die „Spielregeln“ oder illusio zu verstärken, die die sogenannten legitimen Werte und Praktiken innerhalb eines Feldes definieren: Beispielhaft dafür wären Literatur- und Filmpreise oder die Preise von Werken auf dem zeitgenössischen Kunstmarkt.
Geschmäcker sind also nicht angeboren, sondern spiegeln soziale Kämpfe, den Wunsch nach Unterscheidung, und Konformität wider. Die Ablehnung anderer Geschmäcker ist seiner Meinung nach umso aussagekräftiger, als sie Urteile über die sozialen Klassen widerspiegelt, denen diese Geschmäcker angehören. Eine Präferenz zu geben, bedeutet, sich mit einer sozialen Klasse zu identifizieren. Wenn jemand sagt, dass er bzw. sie Independent-Kino den Blockbustern vorzieht, gibt das Hinweise auf seinen bzw. ihren Bildungsstand, Sozialisation usw. Bourdieu zeigt also, dass kulturelle Vorlieben und Praktiken immer Ausdruck von Machtverhältnissen sind. Auch wenn die Theorie von Pierre Bourdieu seit ihrer Erscheinung kritisiert und ergänzt wurde, veranschaulicht sie meiner Meinung nach das Problem der aktuellen Kulturpolitik, die zur Hierarchisierung von Praktiken beiträgt und eine Form der Vorherrschaft des „guten Geschmacks“ aufrechterhält. Eine Lösung würde darin bestehen, die Legitimität der Kunst in ihren unterschiedlichsten Formen anzuerkennen.