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Kunst in der Krise

17.12.2021 | Larissa Goldschmidt

Die anhaltende Corona-Pandemie stellt Kulturschaffende vor immense Herausforderungen und bedroht zahlreiche Existenzen. Fraglich ist, wie die Kunst mit dieser besonderen Situation umgeht und was am Ende noch von ihr übrig bleiben wird.

Kunst in der Krise

Die Temperaturen sinken und die Inzidenzen steigen. Nach nun knapp zwei Jahren Pandemie sind die meisten Menschen erschöpft und müde. Wir scheinen uns orientierungslos im Kreis zu drehen und verlieren dabei den Überblick. Die Stimmung wird angespannter und man fragt sich, wohin das alles noch führen soll. Und während man versucht, sein Leben nach den aktuellen Maßnahmen zu richten, sieht man ständig dieselben Bilder in den Medien – Pflegepersonal am Limit und Meldungen von überlasteten Krankenhäusern. Standen die Menschen Anfang 2020 noch auf den Balkonen und klatschten fleißig in die Hände, um ihre Wertschätzung zu zeigen, steht und klatscht heute niemand mehr. Es scheint, als habe man sich an diese Bilder gewöhnt. Doch sind es nicht nur die Krankenhäuser, die den Belastungen der Corona-Pandemie kaum mehr standhalten können, auch andere kämpfen nun seit Monaten um ihre Existenz. „Ohne Kunst und Kultur wird`s still“ – so lautete das Motto einer Kampagne, initiiert von Kulturschaffenden, die deutlich machen wollten, wie sehr auch ihre Branche von der Krise betroffen ist. Sie wollten sichtbar machen, wie schwerwiegend die Konsequenzen für diejenigen sind, die in diesem Sektor beschäftigt sind. Dabei steht das „uns“ in dem Wort „Kunst“ besonders im Fokus. Es soll auf die aufmerksam machen, die sowohl auf den Bühnen oder hinter den Kulissen agieren. Doch mittlerweile ist es auch um diese Kampagne still geworden. Künstler:innen sind kaum mehr in den Berichterstattungen zu sehen und scheinen in der sich anbahnenden Infektionswelle erneut übersehen zu werden. Nun resultiert daraus eine weitere, unbequeme Frage: Welchen Wert haben Kunst und Kultur eigentlich in unserer Gesellschaft? Steckt auch die Kunst in einer Krise?

Im Zuge der epidemischen Lage ist der Gebrauch einiger Begriffe inflationär gestiegen, wie z. B. „Krise“ oder eben auch „Systemrelevanz“. Eine sog. „Systemrelevanz“ beschreibt Berufe, die für die Grundversorgung und den Erhalt essenzieller Strukturen relevant sind. Kann Kunst dann systemrelevant sein? Nun, sie kann weder Menschen pflegen und impfen, noch ist sie im Stande, leere Supermarktregale aufzufüllen. Doch lässt sich diese Grenze wirklich zu einfach ziehen? Ist es für eine funktionierende Gesellschaft wirklich ausreichend, die absoluten Grundbedürfnisse bereitzustellen? Nein. Menschen sind auf soziale Kontakte und einen Austausch angewiesen. Für das Menschsein sind gemeinsame Interaktionen und ein Zusammenkommen ebenfalls elementare Grundbedürfnisse. Wenn jedoch weder Konzertbesuche, gemeinsames Tanzen in Clubs, Treffen in Cafés oder Ausflüge in Parks und Museen möglich sind, dann wird es besonders mit den anhaltenden Kontaktbeschränkungen zunehmend schwierig, den sozialen Aspekt unseres Seins zu befriedigen. In Anbetracht der schlichten Notwendigkeit ist es daher erstaunlich, wie die Bedeutung von Kunst und Kultur immer wieder in Vergessenheit gerät. Zumal auch diese Branche eine enorme Wirtschaftskraft und eine Vielzahl an Arbeitsplätzen birgt. Bei einem quasi „Berufsverbot“ scheint die Antwort seitens der Regierung deutlich: Kunst ist ein Privileg für gute Zeiten. Diese Schlussfolgerung ist jedoch fatal und verkennt den erheblichen Nutzen für die Gesellschaft. Würde der Kultursektor nicht immer wieder an den Rand der sog. „Systemrelevanz“ gedrängt werden, so würden nicht nur zahlreiche Arbeitsstellen und Existenzen gesichert werden, sondern man würde auch eine weitere Option bieten, mit dieser Krise zu umzugehen. An dieser Stelle ist es interessant, sich die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Krise“ anzusehen. Es leitet sich von dem griechischen „krísis“ ab und bezeichnet eine problematische, mit einem Wendepunkt verknüpfte Entscheidungssituation. So stehen wir als Gesellschaft und auch die Kunst an einem Wendepunkt mit ungewissen Aussichten. Doch so düster die Prognosen und so schlecht die derzeitigen Meldungen auch sein mögen, gibt es Hoffnung. Denn Kunst hat sich bisher als eine wahre Krisen-Expertin erwiesen. Schaut man sich den Verlauf unserer Geschichte an, so zeigt sich immer wieder, dass besonders Kunst und Kultur sich in Krisen behaupten konnten. Man denke nur an die Pest im 14. Jahrhundert und die daraus resultierende Renaissance, die bis heute als eine Hochphase für Kunst und Kultur gilt, an Kriege, Naturkatastrophen oder andere verheerende Seuchen. Kunst in jeglicher Form hat jedoch einen entscheidenden Vorteil: Sie bietet die Möglichkeit, sich mit Emotionen wie Angst auseinandersetzen zu können, sie auszudrücken und fungiert als eine Art Ventil. Sie verhandelt, was uns aktuell bewegt und eröffnet Wege, Gefühle zu kommunizieren – sowohl individuell als auch kollektiv.

Auch wenn ein Ende der Corona-Pandemie noch weit entfernt zu sein scheint und neue aufkommende Virusvarianten uns erneut in Alarmbereitschaft versetzen, sollte man sich stetig in Erinnerung rufen, dass Katastrophen wie diese zu unserer Existenz dazugehören und das es, egal wie verheerend und aussichtslos die Lage schon erschien, so gab es immer wieder eine vielversprechende Zeit danach. So auch für Kunst und Kultur. Schon jetzt steigt die Anzahl von Corona-Kunst, die zeigt, was uns in der Pandemie bewegt. Kunst ist ein Spiegel der Zeit und reagiert immer wieder auf aktuelle Geschehnisse, womit sie diese für spätere Generationen konserviert und greifbar macht. Man denke da nur an Dürers „Apokalyptische Reiter“, „Die Nacht“ von Max Beckmann oder an das aktuelle Werk von Stijn Peetersand once the old world…“. Sie alle haben eins gemein: Sie agieren als Speichermedien der Gesellschaft und liefern wichtige Anhaltspunkte für ein späteres gesellschaftliches Gedächtnis. Vielleicht füllen Kunst und Kultur nicht den Magen oder sichern das, was zum absoluten Überleben nötig ist, aber sie füllen unseren Geist. Dabei ist es irrelevant, um welche Kunstform es sich handelt und ob sie dem Ausdruck eigener Empfindungen dient oder der Ablenkung anderer vom tristen Alltag. Kultur schenkt (Vor)Freude, Antrieb und ist essenziell für einen sozial-gesellschaftlichen Diskurs. Abschließend stellt sich also gar nicht primär die Frage, ob die Kunst in einer Krise steckt, sondern viel mehr, welche Wege die Kunst in dieser Krise für sich finden wird. Wichtig ist nur, dass wir uns immer wieder der Bedeutung von Kunst und Kultur bewusst werden und den Wert dessen zu schätzen wissen. Denn wer erzählt unsere Geschichten weiter, wenn wir es nicht mehr können?