Zum Hauptinhalt
  • übrigens…

Kunst zum Anfassen

13.08.2021 | Beritan A.

In der Regel heißt es bei Kunstausstellungen: „Bitte nicht berühren!“ Doch manchmal kribbelt es in den Fingern. Ein Erfahrungsbericht über das Anfassen von Kunst.

Ich stehe vor einem riesigen Gemälde von Armin Rohr (Saarbrücken/DE) in der Kaiserpassage in Bonn und sehe das Zusammenspiel von Farben und Formen. Während mein Blick hoch- und runterwandert entdecke ich pink, gelb, blau und schwarz. Verschiedene Assoziationen gehen mir durch den Kopf und ich verbinde mit dem, was ich sehe, vor allem einen Tanz zu fröhlich klingender Musik. Ich denke an Gitarrist:innen, die im Sommer die Straßen beleben und Passant:innen, die stehen bleiben und sich zum Klang bewegen.

Mein Auftrag hier besteht darin, eine 360°-Ansicht des Raums für die Website vom ESSZIMMER zu filmen. Sibylle Feucht (Bonn/DE) initiierte mit SZALCprojects das Projekt „PASSAGE“, im Rahmen dessen leerstehende Läden der Bonner Kaiserpassage zu Kunstausstellungsräumen transformiert wurden. So auch der Raum, in dem ich gerade die Kamera auf dem Stativ befestige. Es fällt mir schwer, mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren, denn es kribbelt mir in den Fingern. Ich will das Gemälde anfassen! Es ist niemand da und ich könnte, wenn ich wollte. Dann höre ich die tadelnde Stimme von Museumswächter:innen im Kopf: „Bitte das Kunstwerk nicht berühren!“ It’s a wrap. Nach dem Filmen packe ich das Equipment zusammen und fahre zurück ins Büro. Das Gemälde bleibt von mir unberührt, denn mein Respekt vor dem Künstler und seinen Werken überwiegt den antizipierten Adrenalinkick eines Regelbruchs.

Er gehört berechtigterweise zur Etikette eines Museums- und Galeriebesuchs dazu: der gewisse Abstand zum Werk. Kunstartefakte wie Gemälde sollen idealerweise lange erhalten bleiben und keine Schäden durch Berührungen erleiden. Darüber hinaus gibt die physische Distanz einem Kunstwerk den Raum, seine Wirkung auf die Betrachtenden anders zu entfalten. Doch mein persönlicher Spielplatz sind interaktive Ausstellungen. Der Reiz liegt darin, die Kunst mit allen Sinnen zu erleben und eine aktive Verbindung mit dem Werk einzugehen. Vor zwei Jahren besuchte ich das Zentrum für zeitgenössische Kunst (DOX) in Prag und ließ mich durch VR-Brillen in tschechische Dörfer befördern. Im Musikmuseum setzte ich mich an eine ausgestellte Harfe und spielte unbeholfen drauf los. Im Museum der Illusionen in Wien steckte ich meinen Kopf durch einen Tisch und kreierte eine optische Täuschung für Vorbeilaufende. Das Anfassen von Kunst kreiert eine Lebendigkeit und aktiviert in mir eine kindliche Neugier.

Bei meiner Ankunft im Büro des ESSZIMMERs laufe ich durch die aktuelle Ausstellung „to the other side“ von Jonas Hohnke (Wuppertal/DE). Der Künstler schafft mit seinen Werken eine mentale Verbindung zwischen Bonn und einem Ort am anderen Ende der Welt. Zur Ausstellung gehören zwei Betonblöcke, die wie eine Art Sender und Empfänger miteinander verknüpft sind. Betätigt man den Knopf auf dem einen Block, ertönt beim Anderen ein Klingelton. Ich laufe an dem Block mit dem Knopf vorbei und halte inne. Dreimal dürfen Sie raten, was als nächstes geschieht.

Jonas Hohnke | ohne titel (blocks), 2021