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Fragen und Antwort / Möglichkeit und Zwang

14.01.2021 | Jana Reimers

Kunst kann wahnsinnig kompliziert sein. Nicht umsonst gibt es mehr Bücher über sie, als ein Mensch je lesen kann. Man kann sie studieren, analysieren, vermitteln, beschreiben. Es gibt unendliche viele Fragen, aber was ist eigentlich die Antwort?


Wie viel man in seinem Studium letztendlich gelernt hat, merkt man meist erst in den merkwürdigsten Augenblicken. Als ich mein Praktikum begann, wurde mir die aktuelle Ausstellung von Matthias Aeberli gezeigt. „Bilderlügen“ heißt sie unter anderem, und während mir Viktoria von den Konzepten erzählte, wurden mir meine 9 Semester Philosophiestudium schlagartig mehr als bewusst: Innerhalb von Sekunden schoss mir die platonische Ideenlehre und seine Abneigung gegen die Kunst durch den Kopf. Denn Platon stellte sich keine der Fragen, die sich Matthias Aeberli stellte: für ihn war klar, dass Kunst, besonders aber die Malerei, immer trügerisch war.

Für diejenigen, die nicht in den Genuss von 4 Jahren Philosophiestudium gekommen sind: Platon unterscheidet zwischen den Ideen und der Realität. Die Idee eines Tischen beinhaltet alle möglichen Formen eines Tisches, wie er in der Realität jemals vorkommen könnte. Ein Bild von einem Tisch jedoch gibt vor, ein Tisch zu sein, ist es aber nicht. Wenn die Realität ein Abbild der Ideen ist, ist die Kunst wiederum nur ein Abbild von Abbildern, eine doppelte Entfernung der Wahrheit, die die Ideen darstellen. Für Platon ein No-Go, für mich jedoch immer wieder eine wahnsinnig spannende Ebene der Kunst: Erzählt sie die Wahrheit? Muss sie das überhaupt? Kann Kunst lügen, und wollen wir diese Lügen vielleicht sogar glauben? Gibt es Kunst, die gar nichts erzählt?

Ausschnitte, von links nach rechts: o.T., 2017/2018, o.T., 2017, o.T., 2018, alle von Matthias Aeberli, alle Acryl auf Leinwand | Foto: ©dasesszimmer

Nachdem ich mich von diesem ersten philosophischen Gedankenchaos erholt hatte, sah ich mir als weitere Einführung in die Ausstellung die Aufzeichnung des Live-Streams der Publikationsvorstellung an. Matthias Aeberli und Stephan Wittmer zu zuhören ist wahnsinnig spannend, und die Exkurse über die mittelalterliche Bedeutungsperspektive, in der die wichtigen Dinge in einem Gemälde größer dargestellt werden. Das hat mich erneut zum Nachdenken angeregt: Ist die Kunst vor der Entdeckung der optisch korrekten Perspektive näher an der Malerei der Moderne, als die Meisterwerke der Renaissance? Wo liegen die Prioritäten der Kunst, bei Inhalt oder Form? Ist die Perspektive im Mittelalter „falsch“ und dann im Expressionismus „gewollt realitätsfern“? Warum assoziieren wir mit realistischer Malerei immer noch künstlerisches und kreatives Talent?

Fragen über Fragen, deren Erörterung mehr Spaß bringt, als die Antworten zu finden. Aber ist das alles, was Kunst kann? Bedeutungsschwangere Fragen aufwerfen, die ohne das Studium von Kunstgeschichte und Philosophie, ohne endlose Lektüre, ohne ein grundlegendes Verständnis der Diskurse in zeitgenössischer Kunst, kaum zu verstehen, schon gar nicht zu beantworten sind? Ich denke nicht, dass die Kunst derart eindimensional ist. Während für den Einen das Bild eine interessante Darstellung der platonischen Ideentheorie ist, ist es für den anderen einfach ein schönes Bild, was ihn an den Hund seiner Eltern erinnert, dessen Farben einem gefallen, das einen glücklich macht, das einem Spaß bringt. Und genau das kann Kunst: Durch die bloße Existenz Freude bereiten, und gleichzeitig Fragen stellen, die alle diskutiert werden können, aber niemals müssen.

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